Mindful Photography: Was ich sehe, wenn ich die Kamera bin
- Dr. Christine Lehr
- 23. Sept. 2021
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Okt. 2021
Wie sich der Prozess photographischer Bildgestaltung durch Achtsamkeit in Selbsterkenntnis übersetzen lässt
Drei basale Einstellungen, um ein Photo mit der Kamera zu belichten - Blende, Zeit und ISO (ISO ist kein Akronym für die 'International Organization of Standardization', wie viele annehmen, es kommt aus dem Griechischen von isodynamos, Gleichwertigkeit). Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Stellräder führt zu einem entsprechend belichteten Bild. Die Blende fragt, wie weit öffne ich den Blick. Die Verschlusszeit fragt, wie lange lasse ich das Licht herein. Der ISO-Wert gibt die Empfindlichkeit des Sensors oder analogen Films vor.
Die Blende - Wie weit man den Blick öffnet bedingt die Tiefenschärfe, das meint denjenigen Bereich, der sich vom Hintergrund oder Vordergrund absetzt. Damit lässt sich die Aufmerksamkeit eines Betrachters auf einen bedeutungstragenden Teil des Bildes richten. Hier wird es interessant für mich - als Kamera. Denn man kann fragen, worauf richte ich meine Aufmerksamkeit? Was ist mir in dieser Situation wichtig? Welchem Element schenke ich mein besonderes Augenmerk?

Im Traum no. 1, Regensburg, 2021 © Dr. Christine Lehr
Die Verschlusszeit - Wie lange man das Licht herein lässt, bedingt die Bewegungsunschärfe. Belichtet man den Sensor für längere Zeit, kann eine Bewegung unscharf werden, das Bild wirkt dynamisch oder verträumt. Belichtet man kürzere Zeit, hält man die Bewegung in scharfen Umrissen fest. Ein faszinierender Effekt, die Bewegung einzufrieren. Wenn ich die Kamera bin, kann ich fragen, wie lange widme ich mich einer Situation? Welche Bewegung interessiert mich? Was bewirkt das Vergehen der Zeit? Lässt sich meine Zeit sichtbar machen?
Der ISO-Wert - Mit welcher Empfindlichkeit soll mein Sensor belichtet werden? Um in lichtschwachen Situationen noch ein gutes Bild zu erhalten, lässt sich die Empfindlichkeit des Sensors erhöhen. Das kommt allerdings zu einem hohen Preis - setzt man den ISO-Wert zu hoch an, gibt es sogenanntes Rauschen im Bild. Kann ich als Kamera die Empfindlichkeit meines Herzens einstellen? Wo rauscht es dann?
Blende und Verschlusszeit haben eines gemeinsam. Ich kann sie setzen. Ich bestimme, wie weit und wie lange ich Fenster und Türen zur Welt offen lasse. ISO ist ein besonderer Kandidat der inneren Sphäre. Die Empfindlichkeit des Herzens ergibt sich schliesslich auch durch das Kameraleben hindurch. Unter oder hinter einen bestimmten ISO-Wert kommt man unter Umständen nicht mehr zurück. Und das Rauschen nimmt ab mit der Zeit?
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