Magie und Photographie - Nachrichten von den Grenzen des Selbst
- Dr. Christine Lehr

- 5. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Wie sich der eigene kreative Ausdruck verändert nach besonderen Portalen, die das Leben einem anbietet
Zauberei, Magie, Alchemie, alles Begriffe, die in unserem modernen Sprachgebrauch so gut wie gar nicht mehr vorkommen. Ist es, weil wir deren Praktiken längst hinter uns gelassen, sie mit technischen Errungenschaften ersetzt haben? Unsere Welt entmythologisiert, entgöttert, schlicht entzaubert haben? In der Annahme, die Welt liesse sich unserem schöpferischen Willen ausnahmslos unterwerfen?
Magie meint immer eine Umwandlung von einem Zustand in einen anderen. Alchemisten beispielsweise versuchten im Mittelalter sogenannte unedle Stoffe, wie Quecksilber oder Blei, in edle Stoffe, vornehmlich Gold umzuwandeln. Zauberer bemühten sich, den literarischen Legenden nach, Geister zu engagieren, die ihnen die Wohnung putzten, bekanntlich mit mehr oder weniger großem Erfolg. Auch hier mit dem Ziel der Zustandsänderung.
Die Magie der Photographie
Was vermag nun die Photographie zu verwandeln, und zu welchem Ziel? Die Magie der Photographie besteht in einer Metamorphose. An der objektiv wahrgenommenen Welt lässt sich etwas sichtbar machen, das vorher im Verborgenen lag. Psychologisch erweist sich diese Dynamik von großer Tragweite - das eigene Selbst spricht zu einem, in dem, wovon es angezogen wird, durch das, was wiederkehrend als Motiv sich zeigt, und als das, was das fertige Bild in einem außerdem assoziiert.

'Rafael and The Waters of Everything', Mai 2024 © CL
Das obige und folgende Bild beispielsweise sind in einer Zeit entstanden, in der ein lieber Freund sich das Leben nahm. An ihnen spricht mein Selbst tröstend durch die Natur mit mir. Als eine Erinnerung, dass der ständige Wandel in ihr einen nicht nur ästhetischen Wert uns schauen lässt, sondern die Anerkennung ihres/unseres Wandels unsere Seelen transformiert. Sofern man sich existenziell einlässt auf dieses Schauen, diese uns sich bietenden Portale.

'Metamorphosis of an Archetype' no. 2/4, 2024 © CL
Keith Jarrett und die Âventiure
Hier ein weiteres Portal - von Kind an hatte ich das Köln Concert von 1975 im Ohr. In meinen Zwanzigern hatte ich mir die transkribierten Noten besorgt und wollte es selbst spielen, doch über die ersten paar Takte bin ich nie hinausgekommen. Bis mir eines Tages die Angst begegnete, mit der ich einige Zeit in scheinbar aussichtslosen Krisengesprächen lag. Als diese Zeit dann durchschritten war, konnte ich es plötzlich lernen und spielen. Als wäre mir als Anderer, die ich zuvor war, ein Portal gewährt worden.
Prominent gemacht hat dieses Phänomen der Transformation der US-amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell. Er beschreibt es als Heldenreise, die in mehreren Stufen einen anthropologischen Archetyp einer menschlichen Universalie zum Ausdruck bringt. Wiederzufinden in Artus Adaptionen, Parzivals Stationen, Siegfrieds Bewährungsproben, den Irrfahrten griechischer Helden, biblischer Figuren, im Grunde all jenen Geschichten über gefahrvolle Begegnungen mit scheinbar äußeren Gefahren, die den Protagonisten zu etwas anderem, einer neuen Version seiner Selbst, machen.

'aftermath' no. 1/12, 2025 © CL
Das Magische einer solchen Wandlung liegt in einer möglichen Zielgerichtetheit bzw. Sinnhaftigkeit solcher Âventiuren. Im Lexikon des Mittelalters (Band 1. Artemis & Winkler, München/Zürich 1980) findet sich folgende Beschreibung - Die âventiure [...] ist nicht mehr willkürliches Geschick, das dem Helden zustößt, sondern eine von ihm aus eigenem Antrieb gesuchte und durch wunderbare Fügung für ihn allein bestimmte gefahrvolle Bewährungsprobe. Eine Âventiure, ein Portal, eine solche Transformation ist also nichts, was einem als Opfer äußerer Einflüsse zustößt, sondern je für einen vorgesehen sein mochte.

'aftermath' no. 4/12, 2025 © CL
Ungewusst und unbewusst vielleicht sogar selbst gewählt war. Zu Gunsten etwa der Umwandlung eines unedlen in einen edlen Zustand. Die Âventiure als Heldenreise des Magiers - durch individuelle, für ihn allein bestimmte Erfahrung zu kosmischer Einsicht, die sich erst nur andeutet, schliesslich, so zu hoffen, sein Schaffen durchdringt.
Als Magier auf Heldenreise
Doch diese erbauliche Rede vom Helden, seinen Âventiuren, auf den Bewährungspfaden der Magier, mag leicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine nicht minder beschwerliche Reise handelt, die kaum abgelehnt werden kann. Lediglich in ihrer bewussten Begehung. Während schon diesseitige Belohnungen solch abenteuerlicher Episoden jenseits von Sprache, Zeit und Raum auf uns warten.

'aftermath' no. 5/12, 2025 © CL
Als wohlige Auflösungen beängstigender Dichotomien, wärmende Suspendierungen trennender Dualitäten, und klärende Dissolutionen innerer Polaritäten. So mag ein neuer, 'edler Zustand' hergestellt sein durch das Erfahren seiner Selbst nicht mehr nur in einer Welt, sondern als eine Welt, die einen je anspricht - wie eine Sphinx, die das Rätsel des Sinns von Edel und Unedel, Gut und Böse einem jedem Verstand scheinbar vorlegt, ihn zu läutern?

'shangri-la' from the gateway series 2025 © CL





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